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25.07.2013

Wahrnehmung des Klimawandels Klimawandel findet auch in unseren Köpfen statt. Jeder von uns nimmt das Thema je nach persönlichem oder beruflichem Hintergrund unterschiedlich wahr.

Deutschland und Europa

Die gesellschaftliche Wahrnehmung des globalen Klimawandels hat sich in den Ländern der EU im letzten Jahrzehnt erheblich verändert. Dies zeigen die Daten der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung, die seit Anfang der 1990er Jahre als zuverlässige Datenquelle existieren (1).

(1) Als Vergleichsdaten sind insbesondere die Studien des Eurobarometers und des ISSP von großem Wert.

Einleitung

© Frank Oppermannland/iStock

© Frank Oppermannland/iStock

Seit dem alarmierenden Bericht des IPCC von 2007 (Fourth Assessment Report on Climate Change) ist das Thema Klimawandel in den Medien allgegenwärtig und auch in den Köpfen der europäischen Bevölkerung angekommen. Dabei ist es aus sozialwissenschaftlicher Sicht wichtig darauf hinzuweisen, dass zwischen naturwissenschaftlichen Messwerten und gesellschaftlicher Problemwahrnehmung allenfalls eine lockere Kopplung besteht. Es ist aber die gesellschaftliche Wahrnehmung, die für Entscheidungen über Art und Umfang politischer Maßnahmen entscheidend ist.

In Anlehnung an den Soziologen Niklas Luhmann ließe sich sagen: Gleichgültig ob das Klima sich wandelt, ob die Meeresspiegel ansteigen und die Polkappen schmelzen, all diese Entwicklungen bleiben ohne gesellschaftliche Auswirkungen, solange sie nicht wahrgenommen werden und solange nicht über sie kommuniziert wird. Anders als viele Naturwissenschaftler stillschweigend annehmen, ziehen Veränderungen unserer natürlichen Umwelt und vermeintlich objektive Tatsachen keineswegs automatisch ein entsprechendes gesellschaftliches Bewusstsein nach sich. Im Gegenteil, eher lässt sich belegen, dass veränderte Wahrnehmung und „Klimakommunikation“ die Einschätzung und Interpretation naturwissenschaftlicher Messwerte und Klimamodelle bestimmen.

Die Wahrnehmung des Klimawandels in Europa

Die europäische Bevölkerung ist heute sehr sensibel in punkto globaler Klimawandel: Mehr als 90% der EU-Bürgerinnen und Bürger sind von der Existenz des Klimawandels überzeugt und vier von fünf Personen sehen anthropogene Faktoren als Ursache, so die Daten der Eurobarometer-Studien. Hinter „Armut, Nahrungs- und Trinkwassermangel“ wird der globale Klimawandel zu den derzeit größten Weltproblemen gezählt. Nur für einen kleinen Bevölkerungsanteil der EU 27 (ca. 10%) gilt Klimawandel als unwichtiges, wenig ernstzunehmendes Problem. Mehrheitlich finden Europäerinnen und Europäer, dass nationale Regierungen und die EU mehr für den Klimaschutz tun sollten. Dabei glauben 60%, dass Klimaschutzmaßnahmen durchaus einen positiven Effekt auf die Wirtschaft haben können.

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Zwischen den europäischen Ländern bestehen beträchtliche Unterschiede in der Einschätzung des Klimawandels, diese folgen allerdings keinem einheitlichen Muster. Tendenziell lässt sich ein Nord-Süd-Gefälle feststellen: In Schweden und Dänemark ist die Bevölkerung besonders problembewusst, während die Bürger Italiens und Portugals, aber auch der osteuropäischen und baltischen Staaten den Klimawandel als weniger ernst einstufen. Dieses tendenzielle Nord-Süd-Gefälle gilt allerdings nicht für Griechenland und Zypern, wo man – möglicherweise sensibilisiert durch die katastrophalen Waldbrände der letzten Jahre – den Klimawandel als sehr ernstes Problem einschätzt.

So sehr sich die europäischen Länder auch in der Bewertung der Ernsthaftigkeit des Klimawandels unterscheiden, so sehr ähneln sich doch andererseits die Differenzen, die in den einzelnen Ländern zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen festzustellen sind: In allen Ländern sind es die besser Gebildeten mit längerer Ausbildung bzw. Hochschulausbildung, die auch deutlich klimabewusster sind. Signifikant häufiger handelt es sich um Führungskräfte, Manager, hoch qualifizierte Angestellte und Selbstständige, die den Klimawandel als besonders ernstes Problem einstufen. Den Gegenpol hierzu bilden Rentner, Arbeitslose, Hausfrauen und ältere Bevölkerungsgruppen (Alter 60+). Es sind also eher die gesellschaftlichen Eliten in allen europäischen Ländern, die ein höheres Problembewusstsein besitzen.

Zusammenhänge zur politischen Orientierung lassen sich ebenfalls feststellen: Wer politisch eher linksorientiert ist, stuft auch den globalen Klimawandel als wichtiger ein. Dieser Zusammenhang gilt in allen europäischen Ländern in gleicher Weise.

Deutschland im europäischen Vergleich

Der Vergleich mit den anderen europäischen Ländern zeigt, dass Deutschland keineswegs „Spitze“ hinsichtlich der Wahrnehmung des Klimawandels ist. Zwar sind die Deutschen im Ländervergleich bei vielen Fragen im oberen Drittel platziert, aber weder bei den Einstellungen, noch beim Wissen oder beim persönlichen Handeln rangiert Deutschland auf den ersten Rangplätzen.

Im Gegensatz zu diesen für Deutschland eigentlich noch recht positiven Ergebnissen steht ein auffällig anderes Antwortverhalten bei den im Eurobarometer gestellten Fragen nach den Verantwortungsebenen bei der Bekämpfung des Klimawandels. In Deutschland glauben weitaus mehr Bürger als in anderen Ländern, es würde doch heute schon genug gegen den Klimawandel getan. Dies gilt in gleicher Weise für die Einschätzung des Regierungshandelns wie auch für das Handeln der einzelnen Bürger. Während es beispielsweise in Griechenland 84%, in Frankreich 76% und im EU-Durchschnitt 64% sind, die meinen, es werde von der eigenen nationalen Regierung nicht genug gegen den Klimawandel getan, sind es in Deutschland nur 48%. Ähnlich verhält es sich, wenn nach der Verantwortung der Bürger selbst gefragt wird. In keinem anderen europäischen Land sind so viele Personen der Meinung, dass die Bürger doch schon genug tun würden – dies denken 41% der Deutschen gegenüber bspw. 17% in Frankreich, 17% in den Niederlanden und 21% in Schweden und Dänemark.

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Angesichts von Finanzkrise und Eurokrise steht der globale Klimawandel nicht mehr so im Mittelpunkt wie zwischen 2006 und 2009. Ergebnisse der deutschen Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamts zeigen, dass eine leichte Abwärtsbewegung im Klimabewusstsein festzustellen ist: Heute (Studie 2010) glauben 23% der Bürger, dass die Risiken des Klimawandels übertrieben würden und dass die Folgen beherrschbar seien. Bei der Studie von 2008 waren es lediglich 17%, die so dachten.

Information über den Klimawandel

Die Bevölkerungsmehrheit in Europa fühlt sich über den Klimawandel, seine Ursachen, Konsequenzen und die Möglichkeiten der Bekämpfung recht gut informiert. Hierbei spielt sicherlich die ausführliche Berichterstattung in den Medien eine wichtige Rolle. Über die Ursachen und die Folgen des Klimawandels geben jeweils 56% der Bürger der 27 EU-Länder an, gut informiert zu sein. Allerdings sind es 48%, die sich als „ziemlich gut“ und nur jeweils 8%, die sich als „sehr gut“ informiert bezeichnen. Ein Prozentsatz, der angesichts der Fülle der Berichterstattung doch eher gering anmutet.

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Am höchsten ist der Informationsgrad in Schweden, den Niederlanden, Finnland, und Dänemark - hier sind es jeweils fast drei Viertel, in Schweden sogar 88%, die sich über die Ursachen des Klimawandels sehr gut oder ziemlich gut informiert fühlen. Offenkundig besteht ein Wohlstandsgefälle hinsichtlich des Grads der Informiertheit: In den wohlhabenden Ländern Mitteleuropas fühlt sich die Bevölkerung weitaus besser informiert als in den Randländern der EU, insbesondere denen des Ostens. Die Deutschen belegen hinsichtlich des Informationsniveaus Platz 9 und liegen damit deutlich über dem EU 27-Durchschnitt: 64% fühlen sich hierzulande gut und 35% schlecht informiert. Genau umgekehrt verhält es sich in Bulgarien, Rumänien und Portugal, wo jeweils annähernd zwei Drittel sich einen schlechten Informationsstand attestieren. Auch für Deutschland lässt sich also ein erheblicher Informationsbedarf feststellen. Dies gilt in besonderem Maße für Informationen über die Möglichkeiten zur Bekämpfung des Klimawandels: Bei dieser Frage belegt Deutschland nur Platz 10: Nur noch 59% fühlen sich hierüber eher gut, aber 40% schlecht informiert.

Verantwortung für den Klimawandel und seine Bekämpfung

An erster Stelle sind es Unternehmen und Industrie, die in Europa als Verursacher des Klimawandels wahrgenommen werden. Diese sieht man in der Pflicht, in Zukunft mehr zur Bekämpfung des Klimawandels zu tun.

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Fast 60% der Bürger der EU 27 geben an, selbst schon die Initiative ergriffen zu haben und aktiven Klimaschutz zu betreiben – in den osteuropäischen Ländern ist der Prozentsatz deutlich geringer. Bislang sind die Aktivitäten allerdings noch eher bescheiden. Was sind die Gründe für das relativ geringe Ausmaß persönlichen Klimaschutzhandelns bei denjenigen, die bereits aktiv geworden sind? Ist die Ursache vielleicht, dass sie vorrangig Wirtschaft und Staat für verantwortlich erklären und die Verantwortung zu Handeln weniger bei den Bürgerinnen und Bürgern sehen? Eine solche Vermutung wird durch die Ergebnisse der Eurobarometerstudien klar widerlegt: Zwar sieht man tatsächlich an erster Stelle Unternehmen und Industrie in der Pflicht, mehr zur Bekämpfung des Klimawandels zu tun, aber mehr als zwei Drittel sehen schon an zweiter Stelle die einzelnen Bürger in der Verantwortung, und zwar noch vor den nationalen Regierungen und der EU-Ebene.

Bemerkenswert ist, dass alle Fragen, die in allgemeiner Form vom „Bürger“ sprechen und/oder als „Wir“-Fragen formuliert sind, sehr hohe Zustimmungsquoten aufweisen. In den deutschen Studien des Umweltbundesamtes von 2008 und 2010 stimmen 86% bzw. 88% der allgemeinen Aussage zu „Die Bürgerinnen und Bürger können durch ein umweltbewusstes Alltagsverhalten wesentlich zum Klimaschutz beitragen“ zu; 74% bzw. 75% glauben, dass durch den Druck von Bürgern wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz herbeigeführt werden können. 75% bzw. 77% stimmen der Aussage zu „Bürgerinnen und Bürger können durch ihr Engagement in Umwelt- und Naturschutzverbänden wesentlich zum Klimaschutz beitragen“. Die Zustimmungsquoten sind in den letzten Jahren also sogar noch angewachsen. Offenkundig wissen die Bürgerinnen und Bürger, was „man“ bzw. „wir“ eigentlich für den Klimaschutz tun sollten oder müssten. Man kennt die soziale Norm, stellt sich selbst aber häufig eine Art Sondererlaubnis aus.

Autor
Prof. Dr. Udo Kuckartz
Prof. Dr. Udo Kuckartz
Institut für Erziehungswissenschaft
MAGMA - Marburger Arbeitsgruppe für Methoden und Evaluation
Philipps-Universität Marburg