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30.04.2013

Klimawandel und Wirtschaft Der Klimawandel wird sich künftig verstärkt auf die Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen auswirken. Wie greift die Wirtschaft den Klimawandel auf?

Wie kommt der Klimawandel auf die unternehmenspolitische Tagesordnung?

© Visionsi/fotolia

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Welches Bild machen sich unternehmenspolitisch Verantwortliche vom Klimawandel und seinen Auswirkungen? Und welche Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung werden in den Unternehmen bereits heute durchgeführt oder sollten aber entwickelt und eingeleitet werden? Diese Fragen wurden im KLIMZUG-Nordhessen-Teilprojekt KLUG („Klimawandel unternehmerisch gestalten“) untersucht. KLIMZUG-Nordhessen ist der Kurzname des Projektverbunds „Klimaanpassungsnetzwerk für die Modellregion Nordhessen“. Im Beitrag wird ein kurzer Überblick über ausgewählte empirische Befunde des KLUG-Projekts gegeben, die auf dem Wege einer Kombination aus schriftlicher Befragung und vertiefenden mündlichen Experteninterviews gewonnen wurden (für weitere Informationen siehe die Publikationen der Autoren unter Literatur).

Klimaanpassung in Nordhessen

Nordhessen steht als Pilotregion für viele andere ähnlich betroffene Binnenlandregionen in Deutschland, die voraussichtlich physisch eher mäßig vom Klimawandel betroffen sein werden. Auch wenn also kein im strengen Sinne repräsentatives Bild über die deutsche Unternehmenslandschaft und ihren Umgang mit dem Klimawandel gezeichnet wird, stehen die erzielten Befunde doch beispielhaft für Unternehmen in Regionen, die aufgrund ihrer ländlich geprägten Siedlungsstruktur und naturräumlichen Gegebenheiten vermutlich nicht in dem Maße mit Hitzewellen, Überschwemmungen etc. konfrontiert werden wie dicht besiedelte Ballungsgebiete oder Fluss- und Küstenregionen.

Dabei lassen sich sowohl die Unternehmensstrukturen, die bereits getroffenen Entscheidungen und die unternommenen Maßnahmen sowie die damit verbundene Offenheit für das Thema Klimaanpassung auf Basis der vorliegenden Klimaszenarien verallgemeinern. Bei aller stetigen Verbesserung der Szenarien sind diese zwar gut geeignet, Aufmerksamkeit auch der Unternehmen auf sich zu ziehen, sie passen aber bezüglich der Langfristigkeit, Unsicherheiten und fehlenden Kleinräumigkeit noch immer nicht in die etablierten Risikomanagementsysteme, die in der Regel auf abschätzbare, mit quantitativen Methoden zu erfassende und abbildbare Finanzmarktrisiken fokussieren. Klimarisiken betreffen dagegen längere Betrachtungszeiträume und weder in zeitlicher Hinsicht noch in den zu erwartenden Ereigniskonstellationen prognostizierbare Phänomene. Dazu kommt als weiteres Einflussmoment die anhaltende effizienzorientierte Verschlankung von Unternehmen, die ebenfalls weit über Nordhessen hinaus ein dominierendes Merkmal darstellt und die Fähigkeit von Unternehmen behindert bzw. sogar rückentwickelt, sich über das Tagesgeschäft hinaus mit heute noch nicht unmittelbar drängenden zukünftigen Umweltkonstellationen zu befassen.

Einflusskanäle des Klimawandels

Grundsätzlich lassen sich vier Einflusskanäle unterscheiden, über die Unternehmen mit dem Klimawandel in Berührung kommen können (siehe Abb. 1). Es gibt:

  • den Weg über direkte physische Wetter- und Klimaveränderungen, die die natürlichen Standortgegebenheiten beeinflussen,
  • den Weg über Kommunikation, vor allem in Form allgemeiner Medien oder Diskussionen in den sozialen Bezugsgruppen der unternehmerischen Akteure,
  • den Weg über den Markt (Nachfrageverlagerungen und Ressourcenverknappung)
  • und schließlich das Recht, über das Vorgaben zu Klimaschutz und -anpassung an Unternehmen herangetragen werden.
Abbildung 1: Einflusskanäle des Klimawandels, eigene Darstellung

Abbildung 1: Einflusskanäle des Klimawandels, eigene Darstellung

Im Rahmen des Projekts wurde unter anderen untersucht, in welchem Umfang der unternehmerische Umgang mit dem Klimawandel über diese Wege transportiert wird und welche Bedeutung ihm in der Unternehmenspraxis zugeschrieben wird.

Empirische Befunde

Zum Stand der Klimaanpassung in Unternehmen haben wir eine zweistufige empirische Erhebung in der Untersuchungsregion Nordhessen durchgeführt. Schriftlich befragt wurden die Geschäftsleitungen von 2.300 Unternehmen aller Branchen und Unternehmensgrößen (Rücklauf von 14,2 Prozent). Aufbauend auf dieser quantitativen Untersuchung wurden insgesamt 25 persönliche Interviews mit unternehmerischen Entscheidungsträgern aus 21 Unternehmen verschiedener Branchen geführt. In der nachfolgenden Darstellung werden die erzielten Befunde zusammengeführt.

Wahrnehmung:

Klimawandel ist Fakt. Diese Einsicht teilen auch die meisten unternehmenspolitisch Verantwortlichen. Die Befragten stimmen der Feststellung nahezu uneingeschränkt zu, dass der Klimawandel bereits heute spürbar und in seinen Folgen auch bei großen Anstrengungen nicht mehr abzuwenden ist. Mit Blick auf die Zuständigkeit für Klimaschutz und -anpassung sehen sich die unternehmerischen Akteure eher in der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen in der Pflicht, während sie die Verantwortung im Bereich der Klimaanpassung stärker an die Politik abtreten. Dieser Befund widerspricht der theoretisch begründbaren Erwartung, dass wegen der Trittbrettfahrer-Problematik Klimaanpassungsmaßnahmen aus einzelwirtschaftlicher Perspektive anschlussfähiger sein müssten als Klimaschutzmaßnahmen, da der Kostenträger zugleich auch der Nutznießer ist – Unternehmen also direkt von Anpassungsmaßnahmen profitieren.

Mit Ausnahme weniger Branchen wie dem Baugewerbe und dem Transport- und Verkehrssektor, die aufgrund ihrer direkten Abhängigkeit von wetterexponierter Infrastruktur und Sachvermögen besonders sensibel für Wetterextreme sind (vgl. Ott/Richter 2008), sehen sich die Befragten keinem Handlungsdruck aufgrund direkt erfahrbarer Klimaänderungen ausgesetzt. Zwar kann den befragten nordhessischen Unternehmen eine zunehmende Sensibilität für Wetterextreme und physische Klimawandelfolgen attestiert werden, Deutschland bzw. der eigene Standort werden jedoch als nur geringfügig betroffen eingestuft. So sagt der Logistik-Leiter eines großen nordhessischen Unternehmens:

„Unsere Kollegen in Brasilien hatten ein ganz anderes Problem: Die sind aus Rio nicht mehr rausgekommen, weil da ganze Berge abgerutscht sind, eben weil es geregnet hat – so was von extrem. (…) Das ist aber auch sehr länderabhängig. Hier in Deutschland sind wir bisher noch nicht wirklich mit solchen Extremen konfrontiert worden.“ (Unternehmen 13)

Informationsquellen:

Da der Klimawandel ein Phänomen darstellt, das in Mitteleuropa bisher kaum physisch wahrgenommen wird, kommt der Informations- und Kommunikationsebene eine besondere Bedeutung zu (vgl. Weber 2008, Bechmann/Beck 1997).Der überwiegende Teil der befragten Unternehmen – unabhängig von ihrer Größe und Branche – bezieht Informationen über den Klimawandel aus den allgemeinen Publikumsmedien (41 Prozent der Nennungen), gefolgt von allgemeinen und branchenspezifischen Fachzeitschriften mit jeweils etwa 16 Prozent der Nennungen. Dies ist insofern problematisch, weil die mediale Berichterstattung stark von einzelnen (Tages-)Ereignissen und aktuellen politischen Debatten getrieben ist. Daher regt die Medienberichterstattung nur kurzfristige gesellschaftliche Diskurse an, sodass das Thema Klimawandel

„(…) noch ganz weit weg (ist), es ist noch nicht in den Köpfen, es ist noch vor den Köpfen. Wenn es erst mal in den Köpfen ist, dann fangen die Leute an, sich damit zu beschäftigen. Aber ich glaube, es ist noch nicht mal da angekommen“. (Vertriebsleiter, Unternehmen 12)

Im Ergebnis verhalten sich die Unternehmen auf dem Feld der Informationssuche somit nicht anders als Normalbürger. Besondere Anstrengungen, um differenzierte, über das allgemein Zugängliche hinausreichende Informationen zu beschaffen, unterbleiben. Nur 6 Prozent der Befragten beziehen nach eigenem Bekunden themenrelevante Informationen aus dem direkten Kontakt zu anderen Unternehmen.

Marktchancen:

Marktlich verbinden die Befragten mit Klimaanpassung überwiegend Vorteile. Vor allem Unternehmen aus der Bauindustrie und dem Handwerk stimmen der Aussage zu, dass Klimaanpassungsmaßnahmen unternehmerische Chancen beinhalten. Eine ausgeprägte Chancenorientierung zeigt sich auch in der Frage nach der (klimawandelbedingten) Betroffenheit des betrieblichen Funktionsbereichs Verkauf und Vertrieb. Hier rechnen 39 Prozent der nordhessischen Unternehmen mit neuen Geschäftsfeldern und Absatzmöglichkeiten, bei der Bauindustrie und dem Handwerk ist es sogar jedes zweite Unternehmen (52 Prozent), das Chancen ausmacht. Lediglich 9 Prozent der Grundgesamtheit sehen primär Risiken. Allerdings deuten unsere Befunde aus den Experteninterviews darauf hin, dass hier in der Wahrnehmung der Befragten der Klimaschutz eine zentrale Rolle einnimmt, denn die Interviewten begründen ihre optimistische Einschätzung mit einer gestiegenen Nachfrage nach energieeffizienten Produkten und Prozessen.

„Es betrifft uns insofern, als das die Märkte, in denen wir präsent sind, sich mit dem Thema (Klimawandel, die Verfasser) doch immer mehr beschäftigen. Also insbesondere die Branche Heizung-Klima-Lüftung optimiert die Produkte zunehmend unter dem Thema effizienter Energieeinsatz. Und das ist für uns eine Chance (…)“ (Geschäftsführung, Unternehmen 16)

Regulierungen:

Einen ebenfalls starken Einfluss auf den unternehmerischen Umgang mit dem Klimawandel hat das Recht. Auch hier stellen die interviewten Unternehmensvertreter vor allem auf Klimaschutz und nicht auf Klimaanpassung ab. Nahezu jeder Befragte hebt das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hervor, das durch entsprechende Fördersätze eine profitable Einspeisung des selbst erzeugten Stroms in das öffentliche Netz ermöglicht. Das EEG hat nach Einschätzung der Interviewten innerbetrieblich vielfältige Klimaschutzmaßnahmen angeregt, die ohne politisch induzierte finanzielle Förderung nicht zustande gekommen wären. Eigene Klimaschutzaktivitäten werden zudem öffentlichkeitswirksam vermarktet, denn

„wenn man in diese Richtung was tut, das ist ein riesengroßes Marketingthema, was man auch mit verkaufen kann – das muss man mal ganz klar sehen zu der heutigen Zeit“. (Technische Leitung, Unternehmen 2)

Doch es werden auch kritische Stimmen gegen den Gesetzgeber laut. Interviewte Unternehmensvertreter aus der Transport- und Verkehrsbranche verweisen darauf, dass Entscheidungen über eine klimaangepasste Infrastrukturgestaltung in den Kompetenzbereich der Politik fielen, die weiterhin einseitig auf den Gütertransport per Lkw setze. Die aktuell vom Recht ausgehenden Signale in puncto Klimaanpassung werden im Ergebnis als kontraproduktiv angesehen.

„(…) Ich bin der festen Überzeugung, wenn man die Verkehrsinfrastruktur Schiene deutlich forcieren würde und nicht alles in die Straße steckt, und es wird ja fast alles in die Straße investiert heutzutage, hätten wir auf Sicht gesehen weniger Probleme, mit dem Phänomen Klimawandel in jeglicher Form umzugehen (…)“ (Vertriebsleiter, Unternehmen 12)

Zusammenfassung:

Führt man die empirischen Befunde zusammen, so wird deutlich, dass der Klimawandel aufgrund der bisher begrenzten und oftmals unklaren physischen Folgen überwiegend vermittelt über marktliche und regulatorische Einflussfaktoren auf die unternehmenspolitische Agenda rückt. Aspekte der Anpassung werden bislang kaum berücksichtigt und nur von wenigen Unternehmen – zumeist spontan und punktuell anstatt planmäßig – in Maßnahmen umgesetzt. Die verbreitete Annahme, dass aus Gründen ökonomischer Rationalität Unternehmen automatisch nach Anpassungsoptionen suchen, wird von den vorliegenden Befunden somit nicht gestützt. Dieser Vermutung steht eine komplexere wirtschaftliche Praxis gegenüber, in der der Klimaschutzdiskurs in der Wahrnehmung der Befragten dominiert. So sind es vor allem technische Klimaschutzmaßnahmen wie die Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz sowie die Umstellung auf umweltfreundliche Technologien, die die von uns befragten Unternehmen für geboten halten.

Empfehlungen

Welche Perspektiven ergeben sich nun vor diesem Hintergrund für ein aktives unternehmerisches Klimaanpassungsmanagement? Unternehmerische Akteure sehen sich aktuell vor allem mit einem Problem konfrontiert: Aus ihrer Perspektive bleibt unklar, wann und in welchem Ausmaß explizite Klimarisiken drohen und wann welche Maßnahmen zur Bewältigung der klimatischen Herausforderungen ergriffen werden müssen oder können. Die Ergebnisse von Klimaszenarien sind aufgrund der Langfristigkeit der Szenarien, der Unsicherheiten in den Prognosen und der fehlenden Kleinräumigkeit nur schwer in konkrete Maßnahmenkataloge zu übersetzen.

Aufgrund dieser mit dem Klimawandel verbundenen Unsicherheitsdimensionen scheint es aus unternehmenspolitischer Perspektive geboten, sich auf Folgenungewissheit und vor allem diskontinuierliche Entwicklungen einzustellen. Dies erfordert Flexibilität und eine organisatorische Struktur, die mögliche Klimafolgen frühzeitig in die unternehmerische Planung einbezieht und gegebenenfalls auch wieder verwirft, wenn sich Annahmen als falsch erweisen (vgl. Hecht 2009). Zeitgerechtes Handeln auf Basis strategischer Frühaufklärung wird somit zur kritischen Erfolgsgröße, wenn es gilt, komplexe und oft auch widersprüchliche Klimawandelsignale wahrzunehmen und in Anpassungsmaßnahmen umzusetzen. Gefragt sind also organisatorische Vorkehrungen zur eher ungerichteten Beobachtung allgemeiner Umweltentwicklungen, aber auch intellektuelle Kapazitäten, die Mitarbeiter zur Beurteilung der Relevanz derartiger Entwicklungen befähigen und ihnen Raum für die Pflege dieser Fähigkeiten lassen.

Zielführend ist in diesem Zusammenhang eine Denkhaltung, die sich von der herkömmlichen (quantitativen) Prognosementalität löst und den Blick auf „schwache Signale“ als Vorboten externer Entwicklungen wendet (vgl. Krystek/Müller-Stewens 2007). Die Herausforderung liegt also weniger in der vermeintlich sicheren Vorhersage der Zukunft, sondern in einer Denkhaltung, die eine Sensibilisierung unternehmerischer Akteure für klimawandelbezogene Zusammenhänge, Veränderungen sowie Chancen und Risiken ermöglicht und dabei die eigene Wahrnehmungsfähigkeit stets aufs Neue kritisch reflektiert.

Diese Empfehlungen adressieren somit vor allem an die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen. Trotz der Schwierigkeit, aufgrund von Informationsmängeln und Unsicherheiten konkrete unternehmerische Maßnahmenoptionen zur Klimaanpassung zu bestimmen, kann es heute bereits sinnvoll sein, in den Ausbau von Anpassungsfähigkeit zu investieren, denn er schafft einen Wettbewerbsvorteil und verbessert die eigenen Handlungsmöglichkeiten gegenüber der Konkurrenz.

Autoren
Autoren Freimann
Prof. Dr. Jürgen Freimann
Universität Kassel
Forschungsprojekt KLUG

Autoren Mauritz neu
Carsten Mauritz
Universität Kassel
Forschungsprojekt KLUG

Autoren Walther
Dr. Michael Walther
Universität Kassel
Forschungsprojekt KLUG

Quellen