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04.03.2013

Klimawandel in Norddeutschland Wie wirkt sich der Klimawandel in Norddeutschland aus? Erfahren sie mehr über die regionale Ausprägung des Klimawandels und die Anpassungsfähigkeit von Ökosystemen und Bevölkerung.

Auswirkungen des Klimawandels auf die Ökosysteme der Ostsee

Der Klimawandel hat neben dem direkten Einfluss der Erwärmung vielfältige indirekte Auswirkungen auf die physikalisch-chemische Umwelt der marinen Organismen in der Ostsee: auf den Salzgehalt, auf die Schichtung und Strömungsmuster sowie auf den Sauerstoffgehalt und den Säuregehalt des Wassers.

Auch die Nährstoffzufuhr in die Ostsee, die in den letzten Jahrzehnten zu einer Überdüngung geführt hat, kann sich durch den Klimawandel indirekt verändern, wenn etwa die Landwirtschaft als Quelle der Überdüngung sich den veränderten Bedingungen anpasst. Wenn wir Veränderungen in den marinen Ökosystemen beobachten und für die Zukunft abschätzen, haben wir es also immer mit einem komplizierten Wirkungsgeflecht zwischen natürlichen und menschgemachten Veränderungen zu tun, die sich gegenseitig beeinflussen.

Die Ostsee beherbergt eine Vielzahl verschiedener Organismengruppen, die durch ihre Funktionen im Ökosystem miteinander verknüpft sind. Der Klimawandel hat die marinen Ökosysteme der Ostsee bereits beeinflusst, jedoch sind viele Zusammenhänge noch unklar. Die Unsicherheiten für die zukünftige Entwicklung sind hoch, jedoch lassen sich, basierend auf jüngsten Klima-Ökosystem-Modellierungen, einige Abschätzungen treffen. Im Folgenden werden die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.

Wasserqualität im Klimawandel

Die Ostsee hat in den letzten Jahrzehnten eine starke Überdüngung erfahren. Ein Großteil des in der Landwirtschaft eingesetzten Stickstoffs und Phosphatdüngers wird über den oberflächlichen Abfluss der Felder in Flüsse ausgewaschen und gelangt auf diesem Weg in die Ostsee. Dies führt insbesondere in den küstennahen Gewässern zu einem Überangebot von Nährstoffen, hauptsächlich von Stickstoff und Phosphor.

Dieses Nährstoffüberangebot führt zu verstärkten Algenblüten, so dass sich vom Frühjahr bis in den Herbst das Wasser an den Küsten grün und braun färben kann. Nach einer mehrwöchigen Wachstumsphase sind die überschüssigen Nährstoffe verbraucht. Die einzelligen Algen sterben ab und sinken zu Boden, wo sie von Kleinstlebewesen und Bakterien konsumiert werden. Dabei wird Sauerstoff verbraucht. Eine herabgesetzte Wasserqualität an den Küsten und eine Verschärfung der Sauerstoffsituation in einigen tiefen, sauerstoffarmen Becken der Ostsee, bis hin zu sauerstofffreien Zonen, in denen nur noch einige Bakterienarten überleben können, sind die Folge.

Ob diese Prozesse in der Zukunft verstärkt oder abgemildert ablaufen, wird derzeit erforscht. Jüngste Modellierungsstudien legen den Schluss nahe, dass sich die Wasserqualität (gemessen an Sichttiefe, Phytoplanktonwachstum und Sauerstoffgehalt des Tiefenwassers) als Folge des Klimawandels zum Ende des Jahrhunderts deutlich verschlechtern könnte (Abb. 10, 11).

Eine strikte Anwendung der Vorschläge der Helsinki-Kommission zum Schutz der Meeresumwelt im Ostseeraum (HELCOM Baltic Sea Action Plan) wäre nach diesen Szenarien notwendig, um zumindest die heutige Wasserqualität zu erhalten. Es muss jedoch auf die hohe Unsicherheit aufgrund der Komplexität der Zusammenhänge hingewiesen werden. Diese Ergebnisse beruhen auf wenigen Modellberechnungen und müssen von weiteren Arbeiten verifiziert werden.

 HELCOM Baltic Sea Action Plan

Abb. 10: Modellierte mittlere Änderung der Phytoplanktonkonzentration (in mg Chl m-3, oberer Reihe) und Sichttiefe (in m, untere Reihe) am Ende des Jahrhunderts (2069-2098), relativ zum heutigen Referenzzeitraums (1978-2007) (Ensemble-Mittelwerte). Von links nach rechts sind jeweils die Szenarien der Nährstoffeinleitungen gezeigt: HELCOM Baltic Sea Action Plan (BSAP, bestmögliche Reduzierung); Reduzierung nach aktuellen EU-Vorgaben (CLEG); heutige Bedingungen (REF); business-as-usual (BAU, erwartete Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion). Weiße Flächen: Änderungen nicht signifikant, Ensemblemittelwerte kleiner als Standardabweichung (Meier et al. 2012).

Abb. 10: Modellierte mittlere Änderung der Phytoplanktonkonzentration (in mg Chl m-3, oberer Reihe) und Sichttiefe (in m, untere Reihe) am Ende des Jahrhunderts (2069-2098), relativ zum heutigen Referenzzeitraums (1978-2007) (Ensemble-Mittelwerte). Von links nach rechts sind jeweils die Szenarien der Nährstoffeinleitungen gezeigt: HELCOM Baltic Sea Action Plan (BSAP, bestmögliche Reduzierung); Reduzierung nach aktuellen EU-Vorgaben (CLEG); heutige Bedingungen (REF); business-as-usual (BAU, erwartete Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion). Weiße Flächen: Änderungen nicht signifikant, Ensemblemittelwerte kleiner als Standardabweichung (Meier et al. 2012).

Abb. 11: Modellierte Wahrscheinlichkeiten des Auftretens anoxischer (sauerstofffreier) Bedingungen im bodennahen Tiefenwasser dreier Regionen in der westlichen Ostsee (Mecklenburger Bucht, Arkonabecken, Bornhomsee) bis zum Ende des 21. Jahrhunderts. Die obere Reihe zeigt die Entwicklung unter Referenzbedingungen (Nährstoffeinleitungen entsprechend den heutigen Bedingungen), die untere Reihe zeigt die Entwicklung unter Anwendung des HELCOM Baltic Sea Action Plans (deutliche Reduzierungen der Nährstoffeinleitungen). Die durchgezogene Linie repräsentiert den Ensemble-Mittelwert, die schattierte Fläche die 95%-Spannbreite des Ensemble-Mittelwerts, die gestrichelten Linien die minimalen und maximalen Werte des Ensembles (Neumann et al. 2012, Electronic Supplementary Material).

Abb. 11: Modellierte Wahrscheinlichkeiten des Auftretens anoxischer (sauerstofffreier) Bedingungen im bodennahen Tiefenwasser dreier Regionen in der westlichen Ostsee (Mecklenburger Bucht, Arkonabecken, Bornhomsee) bis zum Ende des 21. Jahrhunderts. Die obere Reihe zeigt die Entwicklung unter Referenzbedingungen (Nährstoffeinleitungen entsprechend den heutigen Bedingungen), die untere Reihe zeigt die Entwicklung unter Anwendung des HELCOM Baltic Sea Action Plans (deutliche Reduzierungen der Nährstoffeinleitungen). Die durchgezogene Linie repräsentiert den Ensemble-Mittelwert, die schattierte Fläche die 95%-Spannbreite des Ensemble-Mittelwerts, die gestrichelten Linien die minimalen und maximalen Werte des Ensembles (Neumann et al. 2012, Electronic Supplementary Material).

Der nachgewiesene kontinuierliche Anstieg der Kohlendioxidkonzentration (CO2) in der Luft führt zu einer Übersäuerung des Wassers, da ein Teil des zusätzlichen CO2 vom Wasserkörper aufgenommen wird und sich dort in eine schwache Säure verwandelt. Mögliche Konsequenz für marine Organismen ist eine verminderte Fähigkeit zur Kalkproduktion bei schalenbildenden Arten (Muscheln, Schnecken, Otholithen bei Fischen). Ein Anstieg des Säuerungsgrades (sinkender pH-Wert) ist für viele Teile des Ozeans nachgewiesen, wird in der Ostsee jedoch überlagert durch hohe saisonale und jährliche Schwankungen und biogeochemische Wechselwirkungen, so dass hier eine Änderung noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen wurde. Inwieweit die Übersäuerung in der Ostsee in der Zukunft ein Problem darstellt, ist zurzeit Gegenstand von Messungen, Experimenten und Modellsimulationen.

Plankton und Bodenfauna

Pflanzliche einzellige Algen (Phytoplankton) vermögen durch Photosynthese Biomasse zu produzieren und bilden somit die Grundlage des gesamten marinen Nahrungsnetzes. In der Ostsee (wie allgemein in hohen Breiten) wird das Phytoplankton von zwei Gruppen dominiert: den Kielselagen (Diatomeen), die einen großen Anteil an der regelmäßigen Frühjahrsblüte haben, und den Dinoflagellaten, die hauptsächlich im Herbst dominieren. Weiterhin kommen im Sommer kleine Flagellaten und Blaualgen vor, letztere teilweise in großen Massenansammlungen. Obwohl in der Ostsee regional längerfristige Änderungen in der Phytoplanktonzusammensetzung beobachtet wurden (z.B. relative Bedeutung von Diatomeen und Dinoflagellaten), konnten diese Veränderungen bisher nicht zweifelsfrei dem Klimawandel zugeordnet werden.

Blaualgenblüten sind ein typisches Phänomen der offenen Ostsee und einiger geschlossener Buchten. Die Ausprägung dieser Blüten ist von Region zu Region unterschiedlich, ob sie jedoch in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben, ist zur Zeit noch umstritten. Es gibt jedoch Hinweise auf eine Zunahme in manchen Teilen der Ostsee, was im Zusammenhang mit der Zunahme der sauerstofffreien Tiefenwasserzonen stehen könnte. Diese „Algen“ sind Bakterien (Cyanobakterien) und wachsen besonders gut im Sommer, wenn andere Algen durch Stickstoffmangel im Wachstum gehemmt sind. Blaualgen vermögen den im Wasser gelösten Luftstickstoff (N2) zu verwerten und sind demnach stickstoffautark. Bei ruhigem Wetter treiben die Blaualgen auf dem Wasser auf und bilden dann ausgedehnte gelb-bräunliche Algenteppiche. Wenn Wind und Strömungen diese Algenmatten an die Küsten treiben, können Strände gesperrt werden, da einige Arten geringfügig giftig sein können.

Ob Blaualgenblüten in den nächsten Jahrzehnten zunehmen werden, ist ebenfalls umstritten und abhängig von vielen Faktoren, z. B. der zukünftigen vertikalen Schichtung des Wasserkörpers und der Entwicklung der sauerstofffreien Tiefenwasserzonen in der mittleren Ostsee. Jüngste Abschätzungen mit Computermodellen deuten auf ein früheres Auftreten von Blaualgenblüten im Jahr hin. Es muss jedoch auch hier auf die hohen Unsicherheiten in diesen Modellen hingewiesen werden.

Für das Zooplankton sind klimagesteuerte Änderungen besser dokumentiert. Zooplankton in der Ostsee besteht zum größten Teil aus der Gruppe der Ruderfußkrebse (Copepoden) sowie der für die Ostsee typischen Gruppe der Blattfußkrebse (Cladoceren). Diese mikroskopisch kleinen Krebse sind wichtige Bestandteile des Nahrungsnetzes, denn sie ernähren sich einerseits von Phytoplankton und bilden andererseits die wichtigste Nahrungsquelle für Fischlarven und kleine Fische. Klimaänderungen wirken sich auf das Zooplankton hauptsächlich über die Temperatur, den Salzgehalt und die Verfügbarkeit und Zusammensetzung ihres Futters, hauptsächlich Phytoplankton, aus. Umgekehrt hat auch das Vorkommen der Fressfeinde des Zooplanktons (Fischlarven und kleine Fische) einen Einfluss auf Bestand und Zusammensetzung der Zooplanktonpoulationen, was wiederum teilweise klimagesteuert sein kann.

Der Salzgehalt spielt eine wichtige Rolle in der Verteilung des Zooplanktons. Salzliebende Arten wie z. B. einige Ruderfußkrebse kommen verstärkt in der salzhaltigeren westlichen Ostsee vor, andere Gruppen wie die Blattfußkrebse sind eher an geringere Salzgehalte angepasst. Eine Abnahme des Salzgehaltes in der gesamten Ostsee würde salzliebende Arten in die Nordsee verdrängen, und andere Arten könnten weiter in die südwestliche Ostsee vordringen. Dies könnte sich auch auf die Verbreitung bestimmter Fischarten auswirken.

Auch für bodenlebende Organismen wie Muscheln und Würmer ist der Salzgehalt eine wichtige Umweltbedingung, die die Ausbreitungsgrenzen größtenteils bestimmt. Marine Arten sind im Westen vorherrschend, Frischwasserarten mehr im Norden und Osten. Der Übergangsbereich wird von salzgehaltstoleranten Brackwasserarten besiedelt. Generell ist die Bodenfauna in der Ostsee großen natürlichen Schwankungen ausgesetzt, etwa nach Salzgehaltseinbrüchen. Bei abnehmenden Salzgehalten in der Zukunft ist mit veränderten Verbreitungszonen und Einwanderung neuer Arten zu rechnen. Neben dem Salgehalt bildet der Bodensauerstoff ein wichtiges Kriterium für die Ausbreitung. Eine weitere Ausweitung der sauerstofffreien Zonen am Boden würde die Bodenfauna dort abtöten bzw. die Neubesiedlung verhindern.

Überfischung und Klimawandel beeinflussen Fischbestände

In der Ostsee gibt es mit Dorsch, Sprotte und Hering drei kommerziell wichtige Fischarten (vgl. Abb12). Diese drei Arten unterliegen einem komplexen Abhängigkeitsgefüge untereinander und sind einem hohen Fischereidruck ausgesetzt. Die Fischbestände in der Ostsee zeigen seit langer Zeit starke Schwankungen, und einige Arten wie z. B. der Stör sind in der Ostsee ausgestorben, vermutlich durch eine Kombination von ungünstigen Umweltbedingungen und Überfischung. Neben der Fischerei werden die Bestände von Faktoren reguliert, die mittelbar oder unmittelbar vom Klima gesteuert werden. Abbildung 12 zeigt, dass im Vergleich zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Anlandungen von Dorsch, Sprotte und Hering in den 1960er und 70er Jahren stark zugenommen haben, was einerseits auf eine drastische Verringerung der Anzahl von marinen Säugern (also Robben, Seehunden und Schweinswalen), andererseits auf eine verstärkte Nährstoffzufuhr in die Ostsee und somit verbesserte Futterbedingungen zurückgeführt wird.


In den 1980er Jahren ist für den Dorsch ein starker Einbruch bei den Beständen festgestellt worden, was einerseits durch den hohen Fischereidruck, andererseits aber auch durch ungünstige Umweltbedingungen, die letztendlich klimagesteuert sind, erklärt wird. Dorsche, wie auch Sprotten und Heringe, laichen in bestimmten Regionen, in denen ihre Eier aufgrund ihres spezifischen Gewichts bis zu einer bestimmten Tiefe absinken. Wenn in dieser Tiefe jedoch sauerstoffarme oder -freie Zonen herrschen, sterben die Eier ab. Diese Zonen haben in den Laichgebieten der Dorsche in den letzten Jahrzehnten zugenommen und somit die „Kinderstube“ des Dorsches verkleinert. Dies ist möglicherweise ein Grund für die Reduzierung des Dorschbestandes. Auch die enge Nahrungsbeziehung zu Sprotte und Hering sowie Veränderungen bei einigen als Futter wichtigen Zooplanktonarten könnten hier eine Rolle spielen. Weitaus stärker wirkt sich jedoch derzeit die Fischerei auf die Bestände der kommerziell genutzten Arten aus. Fischereidruck kann Fischpopulationen so dezimieren, dass sie für klimatisch verursachte negative Veränderungen keine Reserven mehr haben.

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Gefährdete Aufzuchtgebiete für die Ostsee-Ringelrobbe, bessere Bedingungen für südliche marine Säugetiere

In der Ostsee leben mit Schweinswal, Seehund, Ostsee-Ringelrobbe und Kegelrobbe noch einige marine Säugerarten. All diese Arten sind in den letzten Jahrhunderten durch Jagd stark dezimiert worden, so dass heute nur noch vergleichsweise geringe Bestände übrig sind. Nur der Schweinswal und vereinzelt die Kegelrobbe und der Seehund kommen in der südlichen Ostsee vor. Für die Ostsee-Ringelrobbe ist festes Eis für die Aufzucht der Jungen notwendig. Die möglicherweise drastische Abnahme der winterlichen Eisfläche in der nördlichen Ostsee kann demnach für diese Art während des 21. Jahrhunderts zu Problemen führen. Andererseits könnten Seehund, Kegelrobbe und Schweinswal von einer Erwärmung profitieren, da in der Vergangenheit ein Rückgang dieser Arten häufig mit harten Wintern einherging.

Salzgehalt ist der dominierende Umweltfaktor

In der Ostsee ist der Salzgehalt von herausragender Bedeutung für die Organismen. Die Ostsee ist ein Brackwassermeer und weist einen starken Gradienten vom Salzwasser im westlichen Ausgang zur Nordsee bis hin zu annähernd Süßwasserbedingungen in Nordschweden und Finnland auf. In der Vergangenheit hat der Salzgehalt regelmäßig geschwankt, aber ein langfristiger Trend in Richtung Aussüßung ist zurzeit nicht zu beobachten. Größere Einbrüche von sauerstoff- und salzreichem Tiefenwasser über das Kattegat in die Ostsee sind in den letzten Jahrzehnten sehr selten geworden; ob dies schon eine Auswirkung des Klimawandels ist, lässt sich zur Zeit nicht belegen. In der Zukunft könnten erhöhte Niederschläge und Flusseinträge im gesamten Ostseegebiet jedoch eine langfristige Aussüßung nach sich ziehen. Da viele Arten in der Ostsee an bestimmte Salzgehalte angepasst sind, könnte sich eine solche Änderung negativ auswirken.

Autor

Dr. Marcus Reckermann
Internationales BALTEX-Sekretariat
am Institut für Küstenforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht

Quellen