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13.09.2016

Extreme Ereignisse Extreme Wetterereignisse verursachen jedes Jahr Schäden in Millionenhöhe. Welche Rolle spielt dabei der Klimawandel? Wie können wir Schäden vermeiden?

Hochwassergefahren- und Risikokarten

Die Entwicklung und Veröffentlichung von Gefahren- und Risikokarten ist ein wichtiges Instrument zur Informierung der Bevölkerung und wurde aufgrund der europäischen Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie in den letzten Jahren in Deutschland stark vorangetrieben.

Bereits im Jahr 1998, als die schweizerische Plattform für Naturgefahren PLANAT ein öffentlich zugängliches Modell zur Risikozonierung für die Schweiz vorstellte, entwickelte sich in Deutschland eine lebhafte Diskussion über das Für und Wider solch einer Form der Gefahrenkommunikation. Die im Jahr 2000 präsentierte Studie des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz MURL zu potentiellen Hochwasserschäden am Rhein bildete die Basis für den nur ein Jahr später veröffentlichten Rheinatlas (MURL, 2000; IKSR, 2001).

Der Rheinatlas ist eines der ersten umfassenden Kartenwerke zu Hochwassergefahren und möglichen Schäden. Der Atlas zeigte Karten für verschiedene Wiederkehrintervalle (HQ10, HQ100 und HQextrem (HQ200 bis HQ500; im Deltabereich bis HQ10.000)) (IKSR, 2001). Nach dem Hochwasser 2002 gab es auf verschiedensten administrativen Ebenen Initiativen und Gesetzesänderungen zur Erstellung und Veröffentlichung von Gefahren- und Risikokarten. So erstellte beispielsweise Sachsen bereits bis 2005 landesweite Gefahrenkarten. Abb. 1 veranschaulicht die Entwicklung der letzten 20 Jahre in Deutschland.

Abb. 1: Meilensteine der Entwicklung von Hochwassergefahren- und -risikokarten.

Abb. 1: Meilensteine der Entwicklung von Hochwassergefahren- und -risikokarten.

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Zur Umsetzung der Stufe 2 der europäischen Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie waren die Bundesländer gesetzlich dazu verpflichtet, bis Ende 2013 Gefahren- und Risikokarten für Gebiete mit signifikantem Hochwasserrisiko zu erstellen. Tab. 1 gibt einen Überblick über einige Aspekte der in den Bundesländern erarbeiteten Gefahrenkarten. Erstes und wichtigstes Ergebnis ist, dass alle Bundesländer Gefahrenkarten für HQ100 und ein selteneres, d. h. extremes, Ereignis erarbeitet und sich an den Richtlinien der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA, 2010) orientiert haben.

Die einzelnen Bundesländer haben sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, was unter einem häufigen Hochwasser zu verstehen ist: Die Spannbreite reicht von einem HQ5 (Bayern) bis zu einem HQ50 (Tab. 1). Je nach Gegebenheit stellen die Bundesländer Karten für verschiedene HQs für häufige Hochwasser zur Verfügung. So haben jeweils elf Bundesländer Gefahrenkarten für ein HQ10 bzw. für ein HQ20 erstellt, Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg sogar ergänzend für ein HQ50. Das Saarland stellt hingegen gar keine Karten für hohe Wahrscheinlichkeiten bereit.

Die Analyse der Karten für sehr seltene Hochwasserereignisse zeigt, dass auch hier die Bundesländer die Szenarien bzw. Wiederkehrintervalle sehr unterschiedlich wählen. Acht Bundesländer berechnen Überflutungsflächen für ein HQ200 – einige mit, andere ohne Berücksichtigung vorhandener Hochwasserschutzmaßnahmen. Rheinland-Pfalz und das Saarland treffen gar keine konkrete Aussage darüber, welche Wiederkehrintervalle sich den zugrunde gelegten Abflüssen zuordnen lassen. Diese Bundesländer bleiben bei der Aussage, dass es sich um Extremereignisse handelt, „die im statistischen Mittel sehr viel seltener als alle 100 Jahre auftreten“ (MUFV, 2014). Niedersachsen und Bayern verwenden Abschätzungen, welche Wiederkehrintervallen eines HQ1000 entsprechen.

Tab. 1: Übersicht zur Erstellung der Gefahrenkarte pro Bundesland. (*bei Versagen von Hochwasserschutz (HWS)-Anlagen; Stand der Analyse: September 2014; Quelle: DKKV, 2015)

Tab. 1: Übersicht zur Erstellung der Gefahrenkarte pro Bundesland. (*bei Versagen von Hochwasserschutz (HWS)-Anlagen; Stand der Analyse: September 2014; Quelle: DKKV, 2015)

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Neben den Überschwemmungsflächen, die alle 16 Bundesländer in ihren Karten zeigen, bildet nur die Hälfte auch potentielle Überschwemmungsflächen ab; dies sind Flächen, die bei Versagen der Schutzmaßnahmen betroffen sind. Die Darstellung der Wassertiefen erfolgt fast überall nach einer einheitlichen Klassifikation und ist somit gut vergleichbar. Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Sachsen stellen darüber hinaus Informationen zu Fließgeschwindigkeiten bereit. Bremen stellt die Fließrichtung dar und liefert so wichtige Zusatzinformationen für mögliche Ausbreitungswege im Hochwasserfall.

Alle Bundesländer stellen neben umfangreichem Informationsmaterial auch die Gefahrenkarten im Internet zur Verfügung, entweder in Form einer Kartenanwendung (WebGIS) oder als Dokumente zum Download (in der Regel als PDF). Eine adressgenaue Suche ist lediglich in Hamburg, Bayern und Hessen möglich sowie im von der Versicherungswirtschaft bereitgestellten System Kompass Naturgefahren, welches allerdings nur Informationen über verschiedene Naturgefahren in Pilotregionen (Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin) enthält.

 Kompass Naturgefahren

Abb. 2: Hochwassergefahrenkarte mit Überflutungstiefen aus Baden-Württemberg, Szenario HQ100 (Quelle: http://udo.lubw.baden-wuerttemberg.de/public/pages/map/default/index.xhtml).

Abb. 2: Hochwassergefahrenkarte mit Überflutungstiefen aus Baden-Württemberg, Szenario HQ100 (Quelle: http://udo.lubw.baden-wuerttemberg.de/public/pages/map/default/index.xhtml).

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Das länderübergreifende Portal der Bundesanstalt für Gewässerkunde bildet die nationale Schnittstelle zu allen Hochwassergefahren- und -risikokarten der Bundesländer.

 Portal der Bundesanstalt für Gewässerkunde

Es unterscheidet drei Kategorien für Hochwasser: Hochwasser mit hoher Wahrscheinlichkeit entspricht einem HQ10 bzw. HQ20; eines mit mittlerer Wahrscheinlichkeit einem HQ100 und eines mit niedriger Wahrscheinlichkeit einem HQ ≥200. Das Portal gibt eine gute Übersicht zum vorhandenen Kartenmaterial. Mit einem Klick auf einen Ort erhält man eine Liste von Links, welche Gefahren- und Risikokarten bereits existieren. Allerdings zeigt sich die Problematik, dass man für Flüsse, die entlang einer Bundeslandgrenze verlaufen, je nach Lage des Klicks, nur Informationen zu einer Uferseite erhält. Eine Bereitstellung aller Karten für beide Flussufer, unabhängig davon, ob es sich um einen „Grenzfluss“ handelt oder nicht, wäre wünschenswert. Essentiell wäre dafür aber auch die Vereinheitlichung der untersuchten Szenarien, so dass bspw. für beide Flussufer Karten eines HQ20 vorliegen und nicht rechtsseitig HQ20, linksseitig aber nur HQ10.

Die Hochwasserrisikokarten der verschiedenen Bundesländer zeigen ein homogeneres Erscheinungsbild in ihren Inhalten als die Gefahrenkarten, unterscheiden sich jedoch zum Teil in ihrer Darstellung. Alle Bundesländer haben Risikokarten erarbeitet bzw. sind dabei, diese zu fertigzustellen. Einheitlich ist die Darstellung der Überschwemmungsflächen durch Verschneidung mit der Landnutzung des betroffenen Gebietes, Informationen zu Schutzgebieten wie z. B. Hochwasserschutzeinrichtungen, Natura2000-Gebieten oder auch zu Gefahren durch Anlagen mit hohem Schadstoffpotenzial für die Umwelt. Unterschiede in der Darstellung liegen in erster Linie in der Farbwahl, in der Kartengestaltung sowie in der Darstellung der Anzahl betroffener Einwohner. Die meisten Bundesländer nutzen hierfür eine dreistufige Klassifikation (< 100; 100 bis 1000; > 1000 Einwohner je Gemeinde); zusätzlich mit genauerer Angabe direkt unter dem Gemeindenamen in der Karte selbst. Abb. 3 zeigt ein Beispiel aus Thüringen. Nicht alle Bundesländer veröffentlichen jedoch ihre Risikokarten im Internet.

Abb. 3: Risikokarte aus Thüringen, Szenario HQ100 (Quelle: http://www.tlug-jena.de/hwrm/).

Abb. 3: Risikokarte aus Thüringen, Szenario HQ100 (Quelle: http://www.tlug-jena.de/hwrm/).

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Die erstellten Gefahrenkarten dienen als Datengrundlage für die gesetzliche Festsetzung von Überschwemmungsgebieten im Sinne des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG). Die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten hat zum Ziel, Schäden durch Hochwasserereignisse zu vermeiden, indem gefährdete Flächen von Bebauung freigehalten werden. Außerdem können Überschwemmungsgebiete zur Verbesserung der ökologischen Struktur der Gewässer, der Hochwasserentlastung und der Rückhaltung beitragen. Die Überschwemmungsgebiete waren bis Ende 2013 festzusetzen oder zumindest zu ermitteln, in Kartenform darzustellen und vorläufig zu sichern (WHG § 76).

Fazit

In den letzten zehn Jahren sind im Bereich der Flächenvorsorge große Fortschritte zu verzeichnen. Dies betrifft vor allem die Schaffung der Grundlagen für die räumliche Darstellung und Quantifizierung der Hochwassergefahren und -risiken. So wurden bis Dezember 2013 verschiedene Szenarien für häufige, mittlere und extreme Hochwasserereignisse in allen Bundesländern berechnet und in Form von (digitalen) Karten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Karten sind von großer Bedeutung, da sie nicht nur für die Risikokommunikation eingesetzt werden können. Vielmehr dienen sie auch als Grundlage für die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten sowie für die Erstellung von HWRM-Plänen.

Die Festsetzung von Überschwemmungsgebieten ist in vielen Bundesländern noch nicht abgeschlossen, ermöglicht aber bei strenger Auslegung der gesetzlichen Regelungen, die weitere Bebauung und Verdichtung in hochwassergefährdeten Gebieten zu unterbinden. Ob die Regelungen wirksam und weitreichend genug sind, ist umstritten und derzeit schwierig zu beurteilen. Immerhin wird es mit der im WHG angelegten Aktualisierung der Karten im 6-Jahresrhythmus in Zukunft möglich sein, die Risikoentwicklung besser zu überwachen.